Was ist Dekubitus?

5. Januar 2012 | Von | Kategorie: Informationen, Pflege Allgemein, Pflege News, Pflegeausbildung

Dekubitus

Ein Dekubitus (von lat. decubare = liegen, früher auch Ulcus per decubitum = „Geschwür durch Liegen“ genannt) ist definiert als „Bereich lokalisierter Schädigung der Haut und des darunterliegenden Gewebes“. In der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) der WHO wurde dem Dekubitus die Ziffer L89 zugeordnet. Die zugeordneten Pflegediagnosen der NANDA-Taxonomie sind je nach Ausprägungsgrad des Dekubitus Beeinträchtigte Gewebeintegrität (NANDA 00044), Beeinträchtigte Hautintegrität (NANDA 00046) und Gefahr einer beeinträchtigten Hautintegrität (NANDA 00047)

Entstehung

Ein Dekubitus ist ein Druckgeschwür, das bei lang anhaltender Druckeinwirkung entsteht. Der Volksmund spricht vom „sich wund liegen„.

Durch Druck auf die kleinsten Blutgefäße (Kapillaren) ist der Gasaustausch und die Nährstoffversorgung im betreffenden Gewebe nicht mehr gewährleistet. Zu wenig Sauerstoff und zu viel Kohlendioxid ist vorhanden. Es kommt zu einer Übersäuerung (Azidose). Diese bewirkt, dass sich zunächst die Gefäße zur verstärkten Gewebedurchblutung weiten (Gefäßdilatation), was sich als deutliche Rötung an der gefährdeten Stelle bemerkbar macht. Ein gesunder Mensch würde durch den dabei entstehenden Schmerz versuchen, die betreffende Körperstelle zu entlasten. Ist der Mensch aber aus bestimmten Gründen dazu nicht in der Lage (siehe Risikofaktoren) und bleibt die Druckbelastung bestehen, kommt es zur Ischämie. Durch Steigerung der Permeabilität (Durchlässigkeit) der Gefäßwände kommt es zu einem Flüssigkeitsverlust in den Intravasalraum. Es bildet sich ein Ödem, die minderversorgte Haut wird geschädigt – zunächst nur oberflächlich, später tiefergehend – die Gefäße sterben ab, das Gewebe wird nekrotisch.

Die Stadien eines Dekubitus werden in vier Grade eingeteilt. Dabei reicht das Ausmaß dieser nicht-traumatisch-bedingten Wunde von einer nicht zurückgehenden Rötung (Grad 1), die leicht durch den Fingertest nach Phillips erkannt werden kann, bis hin zur Beteiligung aller Gewebsschichten, der darunterliegenden Muskeln und sogar der Knochen.

Schmerzen treten vor allem in den Anfangsstadien eines Dekubitus auf, scheinen aber bei manchen Patienten mit ausgedehnten Wunden nicht mehr empfunden zu werden, so dass von dem Betroffenen keine Eigeninitiative zur Vermeidung (z.B. Druckentlastung) ausgeht. Insbesondere Patienten, die stark wirksame Schmerzmittel erhalten, neigen zu Dekubitalulcera.

Bei konsequenter Anwendung der Dekubitusprophylaxe kann der Entstehung eines Dekubitus vorgebeugt werden.

Risikofaktoren

Die Risikofaktoren für die Entstehung eines Dekubitus werden unterteilt in extrinsische (von außen einwirkende) und intrinsische (personenbedingte) Faktoren.

Extrinsische Faktoren

Bei den von außen einwirkenden Faktoren sind Druck und Zeit gemeinsam die Hauptursache für die Dekubitusentstehung und -ausprägung. Dabei kann hoher Druck in kurzer Zeit eine gleich große Schädigung bewirken wie niedriger Druck über einen längeren Zeitraum

Der Faktor Druck

Man unterscheidet bei der Entstehung eines Dekubitus in zwei Formen von Druck.

Komprimierende Kräfte wirken senkrecht auf das Gewebe ein:

– Druck von aussen (z.B. einschnürende Kleidung, Falten, Schienen, Krümel im Bett, Sonden, Katheter)

– Druck von innen (z.B. Knochen, die ohne Muskel- und Fettpolster direkt unter der Haut liegen)

Schon das Eigengewicht des Körpers bzw. Körperteils auf einer Unterlage verursacht Druck.

Der Faktor Zeit

Die Zeit, in der Druck auf eine bestimmte Körperregion einwirkt, ist entscheidend für das Ausmaß der Gewebeschädigung. Je nach Gewebetoleranz (Fähigkeit der Haut und des Unterhautfettgewebes, Druck ohne Schädigung auszuhalten) reichen manchmal weniger als 2 Stunden (Richtwert), um einen Dekubitus entstehen zu lassen. Dies ist allerdings von Mensch zu Mensch verschieden und hängt neben Zeit und Druck von verschiedenen zusätzlichen Einflussfaktoren ab.

Der Faktor Scherkraft

Scherkräfte wirken parallel zum Gewebe: Es kommt zur Verschiebung zwischen den Gewebeschichten – die obere Hautschicht folgt der Bewegung, die darunterliegenden Schichten nicht. Scherkräfte können sehr schnell zu ernsthaften Schädigungen führen, während die Druckbelastung erst mit der Zeit zu Schädigungen führen kann. Deshalb sind Maßnahmen zur Reduzierung von Scherkräften ebenso wichtig wie druckreduzierende Maßnahmen.

Der Faktor Reibungskraft

Beim Ziehen über das Bett oder beim Herunterrutschen des Patienten von einem Sessel entstehen Reibungskräfte, meist in Verbindung mit Scherkräften.

Intrinsische Faktoren

Diese Faktoren sind in der Konstitution des Patienten begründet und daher nicht immer oder nicht ausreichend beeinflussbar.

Der Faktor Gewebetoleranz

Gewebetoleranz für Druck

Faktoren, die die Fähigkeit des Gewebes, Druck zu verteilen, negativ beeinflussen:

  • Gewebemasse (in diesem Zusammenhang v.a. Kachexie und Adipositas)
  • hohes Alter
  • Dehydrierung
  • Glukokortikoidtherapie (Kortisontherapien über längere Zeit verhindern den Kollagenaufbau zur Zellbildung)
  • Eiweiß- und Vitamin-C-Defizit
  • Stress (Kortison in den Nebennierenrinden wird freigesetzt)
  • Harn- und Stuhlinkontinenz  erhöhen zusätzlich den pH-Wert der Haut

Gewebetoleranz für Sauerstoff

Faktoren, die die Sauerstoffverteilung- und bedarf innerhalb des Gewebes negativ beeinflussen:

  • Fieber/Temperatur (erhöhter O2 Bedarf und Stoffwechsel)
  • Betablocker (senken den Blutdruck und somit die Hautdurchblutung)
  • Eiweißmangel
  • Nikotinabusus (Nikotin heftet sich an das Eisen des Hämoglobins)
  • Krankheiten wie Herz- und Lungenschäden, Anämien, Diabetes mellitus, arterielle Verschlusskrankheit

Weitere Risikofaktoren

  • Immobilität (z.B. während und nach Operationen, Koma)
  • eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten (Fixierung) oder fehlende Spontanbewegungen (z.B. bei Lähmungen, Schonhaltung aufgrund von Schmerzen, Depression)
  • Sensibilitätsstörungen (z.B.  aufgrund neurologischer Erkrankungen)

Häufigkeit

Die Häufigkeit von Dekubitalgeschwüren in der BRD (Prävalenz und Inzidenz) waren bis 2005 relativ unklar. Auf Grund des bisher lückenhaften Wissens über die Häufigkeit und die Begleitumstände von Dekubitalgeschwüren zuhause bzw. in normalen Altenheimen (wissenschaftlich „… in relativ unselektierten Kollektiven“) erhob der Medizinische Dienst im Jahr 2003 im Rahmen der Pflegebegutachtung dazu regionale Daten. Quelle s. u. Literatur Reus u. a.

Die neusten Ergebnisse des MDK (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) besagen allerdings, dass im Schnitt jeder 2. bzw. 3. im Pflegeheim und im amb. Pflegedienst betroffen ist. Die Dunkelziffer dürfte jedoch weitaus größer sein, da u.a. Pflegedienste in zunehmendem Wettbewerb zueinander stehen und deshalb unter dem Druck der Öffentlichkeit und speziell der Angehörigen negative Meldungen gescheut werden.

Und im Krankenhaus?

Das Institut für Medizin-/ Pflegepädagogik und Pflegewissenschaft, 10117 Berlin (Dassen u. a.), hatte 2001 eine Erhebung zum Problem Dekubitus an elf Krankenhäusern, überwiegend in Berlin, durchgeführt. Das Resultat für diese Kliniken waren 12% bis 40% ( in einem Fall sogar über 50%). Da diese Unterschiede sich nicht aus den Variationen in den Patientenmerkmalen erklären ließen, lag der Verdacht auf unzureichende Prophylaxe nahe. Allerdings war diese Studie nicht repräsentativ. Die Erfahrung zeigt aber, dass unzureichende Prophylaxe im Krankenhaus durch Personalmangel durchaus vorkommt.

Einteilung / Schweregrade

Die Stadieneinteilung von Dekubitalulcera wird nach NPUAP= National Pressure Ulcer Advisory Panel 1989 USA beschrieben. Der Schweregrad richtet sich danach wie viele Gewebeschichten zerstört sind.

1. Grad – Gefäßkompression (Druck)

  • Persistierende, umschriebene Hautrötung bei intakter Haut, welcher sich nicht per Fingerdruck „wegdrücken“ lässt (Fingertest).

Weitere klinische Zeichen können Ödembildung, Verhärtung und lokale Überwärmung sein. Bei dunkelhäutigen Menschen kann auch eine Verfärbung der Haut auf einen Dekubitus Grad 1 hindeuten.

2. Grad – Durchblutungsstörung (Ischämie)

  • Teilverlust der Haut, die Epidermis bis hin zu Anteilen der Dermis sind geschädigt.

Die Haut ist oberflächlich geschädigt: Blase, Hautabschürfung oder flaches Geschwür.

3. Grad – Stofftransportstörung (Anoxie)

  • Tiefenschädigung von Haut- und Gewebe. Verlust aller Hautschichten und Schädigung oder Nekrose des subkutanen Gewebes, die bis auf die darunter liegende Faszie reichen kann.

Der Dekubitus zeigt sich klinisch als tiefes, offenes Geschwür.

4. Grad – Zellfunktionsstörung / Zelluntergang (Nekrotisches Gewebe bis auf die Knochenhaut )

  • Verlust aller Hautschichten mit  ausgedehnter Zerstörung, Gewebenekrose oder Schädigung von Muskeln,

Knochen oder unterstützenden Strukturen (Sehnen, Gelenkkapsel).

Gefährdete Körperstellen

Grundsätzlich kann sich an jeder Stelle des Körpers ein Dekubitus entwickeln. Dort, wo der Druck von außen durch Druck von innen (Knochen, Knorpel) verstärkt wird, tritt eher ein Dekubitus auf.

  • Hinterkopf
  • Stirn
  • Ohrmuschel
  • Wirbelsäule
  • Schultern
  • Ellbogen
  • Rippen
  • Kreuz-, Steißbein,
  • Gesäß
  • Trochanter major
  • Beckenknochen
  • Kniescheiben
  • Ferse
  • Fußknöchel
  • Zehen

Nach einer Erhebung des Statistischen Bundesamts treten 40% aller Dekubitalgeschwüre am Steiß und 18% an den Fersen auf. Die übrigen Lokalisationen liegen jeweils unter 6 %.

Behandlung

Der „Merksatz“:

„… du darfst alles auf einen Dekubitus tun,

nur nicht den Patienten!

hat zwar einen positiven Anteil, bezeichnet aber auch ein häufiges Problem: „Wir wissen nicht was der freundliche Tankwart empfiehlt, wir empfehlen bei Dekubitus Honig mit Mercurochrom und Franzbranntwein in Form von Eiswürfeln, weil’s immer schon gut war.“ Diese Verfahrensweisen sind heute obsolet: Die Therapie eines Dekubitus ist Teamarbeit und erfolgt auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse in Medizin und Pflege. Das betrifft gleichermaßen die Druckentlastung, Wundversorgung, Ernährung und psychische Führung des Patienten.

  • pflegerisch: Druckentlastung,  angepasste Wundversorgung, angemessene Ernährung,  weitestgehende Ausschaltung von Risikofaktoren, Motivation des Patienten und seines Umfeldes zur Kooperation, Koordinierung der erforderlichen Maßnahmen nach den entsprechenden Richtlinien.
  • medizinisch: chirurgische  Abtragung, evtl. Abdeckung. Medizinische Infektionsprophylaxe bzw. -behandlung.

Druckentlastung

Die Maßnahmen zur Druckentlastung sind unabhängig vom Grad der Dekubitusausprägung immer durchzuführen, wie

  • regelmäßiger Lagewechsel (30 Grad) oder durch spezielle Antidekubitusmatratzen (Wechseldruck-Matratzen)
  • Vergrößerung der Auflagefläche  durch Weichlagerung, Lagerung auf druckreduzierenden hygienisch reinen Fellen (z.B. Lanamed), oder
  • die absolute Druckentlastung durch Hohl- bzw. Freilagerung gefährdeter Körperpartien

Als Anfangsrhythmus haben sich zunächst Lagewechsel nach 2 Stunden bewährt, dabei kommt die 30-Grad-Lage abwechselnd auf beide Seiten, das Heraussetzen oder Mobilisieren, aber auch die Bauchlage in Betracht.

Allerdings kann die Krankenbeobachtung oder die individuelle Situation (z.B. beim Sterbenden) einen häufigeren oder einen selteneren Wechsel begründen.

Ernährung

Patienten mit Dekubitalulcera benötigen nur dann eine spezielle Ernährung, wenn der erhöhte Bedarf an Energie, Proteinen, Vitaminen und Mineralstoffen über die gewohnte Ernährung nicht abgedeckt werden kann.

Energiebedarf: Der Grundenergiebedarf liegt bei ca. 24 kcal pro Kilogramm Körpergewicht am Tag. Bei einem Dekubituspatienten steigt der Energiebedarf auf 30-35 kcal pro Kilogramm Körpergewicht am Tag.

Proteinbedarf: Der Grundbedarf entspricht 0,8 g Proteine pro Kilogramm Körpergewicht am Tag. Bei Dekubituspatienten steigt der Eiweißbedarf auf 1,2 bis 1,5 g pro Kilogramm Körpergewicht am Tag. Um Eiweißmangel vorzubeugen, sollte der Patient ausreichend Milchprodukte essen, wie z. B. Käse, Joghurt oder Quark.

Vitamine: Wichtige Vitamine sind A, C, E. Der Vitaminbedarf kann durch frisches Obst und Gemüse abgedeckt werden. Nur in Ausnahmefällen sollten ersatzweise wasserlösliche Präparate oder Säfte gegeben werden.

Mineralstoffe: Der Bedarf an Mineralstoffen (wie Zink oder Selen) wird in der Regel über eine ausgewogene Ernährung abgedeckt.

Wundbehandlung

Die Frage nach der Ursache steht am Anfang. Welche Risikofaktoren hat der Betroffene, hat es akute Zustandsveränderungen gegeben, welche prophylaktischen Maßnahmen wurden eingesetzt und welche Wirkung haben sie erzielt?

Die Wunde muss genauestens beobachtet und dokumentiert werden. Dazu eignen sich spezielle Wunddokumentationsbögen und Fotos mit Größenvergleich, z.B. durch das Mitfotographieren eines Zentimetermaßes.

An erster Stelle der Dekubitusbehandlung steht die Druckentlastung der Wunde. Nur in Ausnahmefällen (wenn beispielsweise eine entlastende Lagerung dem Patienten unzumutbar ist, beispielsweise in einer palliativpflegerischen Situation) kann davon abgesehen werden.

Grad 1

  • möglichst absolute  Druckentlastung bis zum Verschwinden der Rötung
  • Hautpflege und Hautschutz mit Pflegemitteln auf Basis von W/Ö-Emulsion ohne hautreizende Zusatzstoffe wie Parfüm oder Farbstoff
  • keine Massage des betroffenen Gebietes
  • keine Wärmezufuhr

Grad 2

  • Trockene Wunden offen lassen, mechanische Wirkungen reduzieren, evtl. luftdurchlässig abdecken
  • Feuchte Wunden mit NaCl 0,9%-, Ringer- oder anderer zu diesem Zweck zugelassenen Lösung spülen. Empfohlen wird das Anwärmen der Spüllösung auf Körpertemperatur, da sich bei Spülung mit kalter Lösung die Wundheilung verzögern kann.  Je nach Sezernierungsart und -menge passenden Verband anlegen,  beispielsweise einen Hydrokolloidverband.

Grad 3

  • Bei Wundinfektion Spülung der Wunde mit desinfizierenden Lösungen oder Antibiotika-Anwendung nach  Arztverordnung, Lösungen möglichst angewärmt verwenden (s.o.)
  • Verbandauswahl: je nach Wundbeschaffenheit und Sekretion trockene oder feuchte Wundversorgung
  • Deckung großflächiger Defekte  durch Transplantation (nur möglich bei nichtinfiziertem Dekubitus)

Grad 4

  • Nekrosen entfernen (durch Anwendung der Hydrogel-Wundversorgung, enzymatisch oder durch den Chirurgen)
  • sonst wie Grad 3
  • Verwendung von Unterdrucksystemen  (Kontinuierliche Wunddrainage mittels Vakuum)

Komplikationen

  • septische Körpertemperaturen – generalisierte Sepsis
  • Schädigung der Muskulatur
  • Entzündung der Knochenhaut (Periostitis)
  • Entzündung der Knochen (Ostitis)
  • Venenentzündung (Thrombophlebitis)

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